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Was ist anomal?
        
PSI – ein Ausflug ins Unsichtbare:
Zu einer Ausstellung in der Kunsthalle Krems

       

Von Marion Mauthe

 

Ein Mann liegt halbwach auf seiner Couch. Ein roter Lichtpunkt, der sich für Sekunden deutlich in die Buchstabenkombination „Follow me” verändert, weist ihm den Weg aus seinem Haus, in die Dunkelheit der Nacht, und gelangt schließlich zu einem Freizeitareal. Der Punkt läuft weiter hinein in die Tiefe des Waldes, hält an einer laubbedeckten Stelle, wo sich der Körper eines Mädchens abzeichnet. Der rote Punkt formt sich über der linken Brust des Leichnams zu einem Herz, ehe das tote Kind unter den Blättern versinkt… Der Mann schreckt von seinem Traum hoch. Es handelt sich um einen Beamten des FBI, der anderntags an der angegebenen Stelle tatsächlich eine Leiche entdeckt.

Daß die Fabriken in Hollywood sich der Produktion von Träumen widmen, ist Gemeinplatz. Daß die Drehbücher der Fernsehserie „Akte X” auf ungeklärte Fälle des FBI zurückgreifen, ebenso. Der Auslöser für die amerikanischen Fernsehträumer ist freilich das neuerwachte Interesse an Parapsychologie in Übersee, das mit Hilfe von New Age und Esoterik auch auf den alten Kontinent übergreift. Die kürzlich aufgetauchten Geheimakten des CIA, aus denen hervorgeht, daß der US-Geheimdienst beträchtliche Summen in die Erforschung der Grenzgebiete der Psychologie investiert hat, setzt dem Törtchen die Kandiskirsche drauf. Und tatsächlich bekam das Standford Research Institute in Menlo Park, Kalifornien, den Auftrag von den zivilen und militärischen Geheimdiensten der USA, die Technik des sogenannten „Remote Viewing”, zu deutsch „Fernwahrnehmung”, zu entwickeln, um Personen zu trainieren, vorwiegend geheimdienstliche Einrichtungen in anderen Ländern auszuspähen. Bis Ende 1995, als ein Teil der streng geheimen Operationen bekannt gemacht wurde, hatte man fast 25 Jahre lang diese Methode verfeinert und zahlreiche Spezialisten zu „PSI-Spionen” ausgebildet.

Ein Beispiel: Ein sehr begabter Remote Viewer, Pat Price, erhielt den Auftrag, eine geheime sowjetische Anlage in Kasachstan auszuspähen. Price saß an seinem Schreibtisch in Kalifornien und skizzierte industrielle Gebäude, einschließlich eines mehrere Stockwerke hohen Spezialkrans, der sich auf übermannshohen Rädern auf Schienen fortbewegt. Die CIA zeigte sich zutiefst verblüfft. Durch „herkömmliche” Agententätigkeit kannte man das ungefähre Aussehen der Einrichtung – die Zeichnung eines CIA-Graphikers zeigte die erstaunliche Übereinstimmung. Der Schwachpunkt dabei: Was hat Pat Price „gesehen”, den Kran in Kasachstan oder das Bild des Krans im Aktenordner des CIA? Oder in der Mappe des Graphikers oder gar in dessen Gedanken?

      

Genie oder Wahnsinn

Derlei Phänomene stellen nun die Wissenschaft vor die Aufgabe, diesen den Nimbus der Scharlatanerie zu nehmen. Bisher steht fest, daß außergewöhnliche Wahrnehmungen eine ständig und allgemein zugängliche Fähigkeit darstellen, über die jeder Mensch verfügt. „Freilich kann jeder ein Liedlein trällern”, meint Peter Mulacz, Generalsekretär und Vizepräsident der österreichischen Gesellschaft für Parapsychologie mit Sitz in Wien, „doch nur einer wird Pavarotti”. Damit stehen wir also vor dem allgemeinen Problem, Genie und Begabung erklären zu wollen. Schließlich ist jedem Menschen schon einmal ein Traum so deutlich in Erinnerung geblieben, daß er ihn beim Aufwachen zunächst als tatsächlich erlebt empfunden hat. Oder es ist der Freund, den man gerade anrufen wollte, am Telephon. Nichts an diesen Erfahrungen scheint außergewöhnlich zu sein.

Die Psychologen freilich können die Wahrnehmungen unterscheiden und haben eine Einteilung in drei Hauptbewußtseinszustände – das Wach- oder Tagesbewußtsein, den Schlaftraum und den traumlosen Schlaf – und in die veränderten Bewußtseinszustände getroffen. Wobei auch hier der Spreu vom Weizen zu trennen ist. Veränderte Bewußtseinszustände erlebt jeder Mensch jeden Tag kurz vor dem Einschlafen bzw. nach dem Aufwachen als Schlaftrunkenheit. Hier wird weder das Tagesbewußtsein noch der Schlaf erfahrbar, es handelt sich um ein Übergangsstadium, einen veränderten Zustand – Erfahrungen also, die keineswegs nur überaus begabte oder sensitive Menschen hervorzubringen im Stande sind. Die sogenannten „Sensitiven” (bzw. Medien) hingegen sind dazu fähig, solche Bewußtseinszustände immer wieder hervorzurufen. Die Wiederholbarkeit von Phänomenen, die in diesen Zuständen vermehrt auftreten, ist Gegenstand der PSI-Forschung. Induziert werden können sie aktiv einerseits durch Hypnose, Suggestion, Yoga, Meditation, autogenes Training, andererseits durch Drogen und passiv durch Reizentzug oder Reizüberflutung. Die sogenannten „Floatation Tanks”, die sich zunehmend auch in der Psychiatrie großer Beliebtheit erfreuen – läßt sich doch damit zum Teil die embryonale Phase nacherleben – sind ein Beispiel für Reizentzug: Der Proband wird in einen sargähnlichen Wasserbehälter gelegt, der Deckel verschlossen und die vollkommene Stille und Dunkelheit läßt keine Sinneseindrücke von außen zu – der Körper schaltet quasi ab, es entstehen Bilder, die von innen, also aus dem Unterbewußtsein kommen. Der deutsche Parapsychologe Rudolf Tischner (1879–1961) bezeichnete diese so hervorgerufene Art der Wahrnehmung als „Steigrohr des Unbewußten”. Vor allem ist es mit den sogenannten „Ganzfeld-Versuchen” weitgehend gelungen, einen allgemein akzeptierten Standard zu erreichen: Eine Testperson hört über Kopfhörer leises Rauschen und blickt in ein einheitliches rosafarbenes visuelles Feld. Dieses wird durch halbierte Tischtennisbälle über den Augen und eine Rotlichtquelle erzeugt. Sehr rasch stellen sich durch diese monotone Sinnesreizung traumähnliche Bilder ein. In solchen Zuständen gelingen telepathische Übertragungen mit einer nie zuvor erreichten Genauigkeit.

      

„Jenseitskontakte”

Weshalb es den Parapsychologen so wichtig ist, Anerkennung ihrer Disziplin im Rahmen der Wissenschaft zu finden, ist aus ihrer Historie erklärbar. Der Begriff Parapsychologie geht auf den Vorschlag des Berliner Psychologen und Philosophen Max Dessoir (1867–1947) aus dem Jahre 1889 zurück, „die aus dem normalen Verlauf des Seelenlebens heraustretenden Erscheinungen parapsychische, die von ihnen handelnde Wissenschaft Parapsychologie” zu nennen. Dessoir wollte mit dieser provisorischen Bezeichnung eine Gruppe außergewöhnlicher Phänomene kennzeichnen, die in der Kulturgeschichte zwar immer wieder berichtet wird, deren Existenz aber seit jeher umstritten ist: Es handelt sich um verbreitete Erscheinungen und Vorgänge wie Gedankenübertragung, Zweites Gesicht, Wahrträume, Ahnungen, Spuk- oder Geistererscheinungen, die aber nicht krankhaft, also nicht als psychiatrische Fälle zu sehen sind und zumeist als nicht-alltäglich und emotional besonders bedeutsam eingestuft werden.

In der historischen Entwicklung der Parapsychologie lassen sich drei Phasen unterscheiden:

Den Gegenstandsbereich der heutigen Parapsychologie bildet eine Gruppe „anomal” anmutender Erlebnis- und Verhaltensweisen, die unter dem Oberbegriff „PSI-Phänomene” zusammengefaßt werden (nach dem 23. Buchstaben des griechischen Alphabets). Diese werden üblicherweise in zwei Gruppen untersucht: als „PSI-Kognition” oder „Außersinnliche Wahrnehmung” in den Formen

und als „PSI-Aktion” oder „Psychokinese”, worunter die direkte Beeinflussung physikalischer oder biologischer Systeme in Abhängigkeit von der Intention eines Beobachters ohne Beteiligung bekannter naturwissenschaftlicher Wechselwirkungen verstanden wird.

Die Aufgabe der parapsychologischen Forschung besteht darin, Erklärungsmodelle für behauptete PSI-Phänomene zu finden, worunter auch konventionelle Erklärungen in Form von subjektiven Täuschungen oder Artefakten fallen können. Im Unterschied zu einem weitverbreiteten Mißverständnis hängt die Legitimität dieser Forschung also nicht davon ab, daß sich „PSI” als hypothetisches Konstrukt verifizieren läßt.

     

Tischrücken

Einer der Auslöser für die Massenbewegung des Spiritismus im vorigen Jahrhundert war ein Erlebnis der Kinder der Familie Fox, die 1848 in Hydesville, einem kleinen Ort in Maine an der kanadischen Grenze, das eigenartige Phänomen entdeckten, daß ein Tisch, auf den man ringsherum eine Kette bildend die gespreizten Finger legt, lebendig zu werden beginnt und z. B. auf gestellte Fragen durch Klopfen mit einem Tischbein Antwort gibt. Das hätte an sich nicht besonders geheimnisvoll zu sein brauchen. Auch vor hundert Jahren war man so gescheit zu wissen, daß unbewußte Muskelspannungen, zumal wenn sie sich von mehreren Personen summieren, mancherlei überraschende Bewegungseffekte hervorrufen können. So einfach sah man aber die Sache nicht an. Soeben hatte der Begründer des Spiritismus in Amerika, Andrew Jackson Davis, sein erstes, aufsehenerregendes Werk über den Verkehr mit der Geisterwelt erscheinen lassen. Die Bereitschaft, Übersinnliches zu erleben, steckte sozusagen in der Luft. Auch hatte es sich im Hause Fox gar nicht nur um das genannte Tischklopfen oder -rücken gehandelt, sondern schon vorausgehend um rätselhafte Klopftöne in den Wänden des kleinen Hauses, die auch eine Untersuchungskommission aus den „gebildetsten Bewohnern von Rochester”, der unter anderen der bekannte Lederstrumpf-Verfasser Fenimore Cooper angehörte, nicht auf natürliche Weise erklären konnte.

Das neu entdeckte Tischrücken war so in einer Atmosphäre des Übersinnlichen geboren worden und breitete sich zusammen mit ihr in einer erstaunlichen Schnelligkeit aus. 1850 schrieb der amerikanische Korrespondent einer Bremer Zeitung darüber, wenige Monate später war es in allen europäischen Städten bekannt. Überall bildeten sich Zirkel, Gesellschaften, Gemeinden; schon die Neugier ließ niemanden ruhen, es nicht auch einmal zu versuchen. Es war ja so einfach, ein Gesellschaftsspiel, das etwas Gruselig-Unheimliches an sich hatte. Das meist stark abgedämpfte Licht kam der gemeinsamen Stimmung in jeder Hinsicht entgegen. Man setzte sich eng um ein kleines Tischchen, die Fingerspitzen leicht aufgesetzt, die Kleinfinger der Nachbarn berührten sich, damit es eine Kette wurde, und wartete, bis früher oder später ein feines Knistern im Tisch hörbar wurde, die erste bedeutungsvolle Ankündigung des Kommenden. Dann aber kam mit einem Male Leben in den Tisch: Er zitterte, schwankte, hob abwechselnd die Beine, begann sich zu drehen oder gar im Zimmer herumzuspazieren. Ein findiger Kopf, Isaac Port, war als erster auf die Idee verfallen, die Klopflaute des Tisches mit dem Alphabet durchzuzählen, sodaß der Tisch Wörter und Sätze buchstabieren konnte. Auf diese Weise erhielt man ganze „Botschaften” eines fremden, intelligenten Wesens, das allerdings im allgemeinen von genau derselben Intelligenz und Bildung war, wie die übrigen Sitzungsteilnehmer jeweils auch.

      

Pikante Unterhaltung

Bisweilen soll es aber angeblich auch anders gewesen sein. Man hört von hellsichtigen Mitteilungen, ja von Bekundungen Verstorbener, die ihre Anwesenheit in dem Tisch anzeigten. Es war schließlich nie genau zu sagen, was bei der Sitzung herauskommen würde. Ein etwas makabres Spiel, reizvoll für ein glaubensmüde gewordenes Bürgertum, das diese halb-ernste unverbindliche Beschäftigung mit dem „Jenseits der Seele” liebte. Seine Reichweite erstreckte sich von der Gesellschaft junger Ladenmädchen über die Salons des guten Bürgertums bis in die Hofgesellschaft der europäischen Fürstenhöfe – auch Kaiserin Elisabeth nahm an spiritistischen Sitzungen teil – und was hier vor sich ging, zeigte alle Schattierungen von einer Totenbeschwörung bis zur pikanten Abendunterhaltung. So meint ein guter Beobachter aus jener Zeit: „Sicherlich amüsiert man sich in den spiritistischen Soiréen der eleganten Welt gar oft. Wenn diese Sitzungen bei Dunkelheit stattfinden und zur Verstärkung des Fluidums bunte Reihe gebildet wird, so kommt es nicht selten vor, daß die Herren momentan den Zweck der Sitzung vergessen und sich der Versuchung hingeben, die Kette der Hände zu unterbrechen und eine andere zu schließen. Die Damen und jungen Mädchen sind mit Vergnügen dabei, und fast niemand beklagt sich…”

Auch Thomas Mann schrieb Mitte der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts seine Erfahrungen bei den Séancen des Freiherrn Schrenck-Notzing nieder, an denen er wiederholt teilnahm. Daß selbst der kühle, norddeutsche Denker sich diesem „Thrill” hingab, mutet seltsam an und war es auch – ebenso seltsam wie die heutige Beschäftigung in Freizeitparks und bei Computerspielen. Der Baron freilich war sehr exklusiv. Nicht alle durften kommen, es kam darauf an, wen er einlud. Und das waren in erster Linie Gelehrte, vor allem Universitätsgelehrte, erst dann sonstige Intellektuelle, wie Schriftsteller und Künstler, aber das waren zumeist seine persönlichen Freunde. Der Freiherr, der sich ein Palais in München errichten ließ – das übrigens heute noch steht – arbeitete unter anderen mit dem aus Braunau am Inn gebürtigen Medium Willy Schneider. Sowohl er als auch später sein Bruder Rudi wurden in parapsychologische Experimente eingebunden. In Trance versetzten sich die beiden durch Hyperventilation, also extrem schnelles Atmen. In ihren Sitzungen konnten Gegenstände ihren Platz verändern, Spieldosen gehorchten den Anordnungen der Sitzungsteilnehmer. Als solcher schrieb Mann seine Eindrücke nieder („Okkulte Erlebnisse”, erstmals 1923 erschienen): „He, du verstecktes und lichtscheu-undenkliches Wesen aus Traum und Materie, was treibst du da vor unserer Nase? Knacks, wird der Hebel gewendet, das Spielwerk geht. ,Kommandieren Sie Halt!’ sagt der Baron. Und auf mein Wort wird abgestellt. ,Los!’ Die Dose spielt. Dies einige Male. Man sitzt vorgebeugt und kommandiert das Unmögliche, läßt sich von einem Spuk gehorchen, einem scheuen kleinen Scheusal von hinter der Welt…”

Und mit seinen Essays und Vortragsreihen über das Okkulte – auch im „Zauberberg” wird eine spiritistische Sitzung geschildert – fand die Parapsychologie als wissenschaftliche Disziplin in Thomas Mann einen glaubwürdigen Fürsprecher: „Ganz ähnlich wie in der Politik gibt es im Verhalten der Wissenschaft zum Okkultismus ein ,Rechts’ und ein ,Links’, eine starr konservative und eine radikal-umstürzlerische Gesinnung und Willensmeinung — nebst zahlreichen Übergängen und Abschattungen zwischen den Extremen des verstockten Ableugnens aller rational unerklärlichen, aber immer wieder gemeldeten und verbürgten Erscheinungen (…) und andererseits einer fanatisch-kritiklosen Leichtgläubigkeit, die weniger auf gefaßter Ehrfurcht vor dem Geheimnis, als auf inhumaner Gehässigkeit gegen Vernunft und Wissenschaft beruht.”

     

Geisterphotographie

Auch August Strindberg blieb nicht unberührt vom Zeitgeist und gab an, er habe photographische Selbstporträts und die seiner Tochter Anne-Marie (1904) mit der „Wunderkamera” gemacht. Dabei sollte die aurische Emanation der abgelichteten Person nicht durch eine Glaslinse gehindert werden, in die Kamera einzudringen, und sich auf der Photoplatte oder dem Rollfilm niederschlagen. Wenn auch viele Porträts von Herman Anderson stammen, glaubt man, diese Ausstrahlung zu erkennen, die sich wie ein Geheimnis auf die Photographien gelegt hat.

Strindberg bediente sich einer damaligen Modeerscheinung: der Geisterphotographie. Die Spukerscheinungen im Haus der Familie Fox und die Erfindung der Photographie lagen nur zehn Jahre auseinander. Es dauerte allerdings bis zum Beginn der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, bis beide Disziplinen zum ersten Mal zusammenfanden. Interessant, daß sowohl die Parapsychologie wie die Photographie bis in unsere Tage mit ihrer Anerkennung kämpfen – die eine als natur-, die andere als integrativwissenschaftliche Disziplin. Und bis heute existiert noch kein Lehrstuhl für die Geschichte und Theorie der Photographie an einer deutschen Universität ebenso wenig wie es einen deutschen Lehrstuhl für Parapsychologie gibt.

Es waren zwei Ereignisse, die Photographie und Parapsychologie zusammenführten: Beim Versuch, die von Reichenbach behaupteten Od-Strahlen – nach Reichenbach ein „duftiger Hauch”, der von sämtlichen Körpern der belebten und unbelebten Natur ausgestrahlt werden kann – auf der lichtempfindlichen Schicht sichtbar zu machen, war die Photographie in ihrer Funktion als Beweismittel gefragt. In diesem Fall spielte sie eine dienende Rolle. Die erste Geisterphotographie, die Mumler mit Hilfe der Doppelbelichtung anfertigte, war dagegen ohne das Medium Photographie nicht möglich. Nur die Photographie war in der Lage, das Phänomen als solches hervorzubringen. Hier spielte sie also die Hauptrolle.

     

„Elektrographie”

In der Kunsthalle Krems zeigt die Ausstellung „Im Reich der Phantome – Fotografie des Unsichtbaren” erstmals unter anderem die erst kürzlich wiederaufgefundenen Originale der Sammlung Darget, des Pioniers der Fluidalphotographie, die die Faszination der Geschichte des Zusammenwirkens von Photographie und paranormalen Phänomenen aufschlußreich dokumentiert. Es handelt sich tatsächlich um einen abenteuerlichen und spannenden Teil der Geschichte des homo sapiens mit all seinen Ängsten und Hoffnungen, mit seiner Bereitschaft zu täuschen und sich täuschen zu lassen, aber auch mit seiner Sehnuscht, über seine irdische Existenz hinauszugelangen.

Zu der Ausstellung der Kunsthalle Krems gibt es ein attraktives Rahmenprogramm. So hielt Peter Mulacz Ende März einen Dia-Vortrag mit dem Titel „Parapsychologie – gestern und heute”, der nach einem kurzen Überblick über die moderne Parapsychologie diese historischen Verflechtungen zwischen Okkultem und Photographie verfolgt und insbesondere die Materialisationsphotos der Periode Schrenck-Notzing, die auch einen Schwerpunkt der Ausstellung darstellen, thematisierte. Am 9. Mai wird zu einem weiteren Vortrag geladen: Einer der in der Kunsthalle ausgestellten Künstler, Bernhard Johannes Blume, der mit mehreren Werkgruppen die unfreiwillige Komik der alten Geisterphotos durch kalkulierte Ironie ersetzt, spricht um 19.30 Uhr zum Thema „transzendentale Photographie”.

Als Erklärungsmodell, warum die Arbeiten auf dem Gebiet der mediumistischen Photographie in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts enden, könnte die Annahme von Rudolf H. Krauss in seinem Buch „Jenseits von Licht und Schatten” dienen, wonach „im Mediumismus die Periode des Sehens in den dreißiger Jahren von einer Periode des Schreibens und diese wiederum später von einer des Hörens abgelöst wurde” – automatisches Schreiben und Aufnahmen auf Magnetbändern prägen heute vordergründig das Interesse am Unsichtbaren. Peter Mulacz gibt ein anderes Erklärungsmodell, wonach diese Zäsur mit einer Diskontinuität aufgrund der politischen Ereignisse zusammenhängt: Nach der Errichtung des Dritten Reiches in Deutschland wurde die Zeitschrift für Parapsychologie eingestellt. Die letzten parapsychologischen Experimente führten Eugène und Marcel Osty in der Nachfolge Schrenck-Notzings durch, da gab es so gut wie keine Parapsychologie mehr in Deutschland. Dann kam die Zäsur des Zweiten Weltkrieges. Schrencks Paradigma – oder allgemein das der Zwischenkriegszeit – war ein biologistisches. Nach dem Krieg wurde jeglicher biologistischer Ansatz negiert, klingt er doch nach Blut und Boden, Eugenik, Lebensborn.  Zusätzlich sind aus den USA neue Paradigmata hinzugekommen.

Doch zur Jahrhundertwende wurden nicht nur durch Kunstgriffe bei der Ausarbeitung die sogenannten Geister- und Fluidalphotos erzeugt, Experimente mit Elektrographien und deren Rezeption in der Wissenschaft prägten das Bild auf diesem Gebiet. So nahm der Pole Jodko-Narkjewicz an, daß durch den elektrischen Strom die „Nervenkraft” des Menschen „herausgetrieben” werde. Sie bestimme die Form der elektrographischen Figuren und zeige den psychischen Zustand von Menschen an: Den Testpersonen wurden mit Salmiakgeist gefüllte Glasröhrchen mit einem Kupferkern in die eine Hand gedrückt, die andere legten sie auf eine photographische Platte. Durch Verbindung von positivem und negativem Pol über den menschlichen Körper erhielt Jodko Bilder, die angeblich die Antipathie und Sympathie zweier Menschen sichtbar machen konnten, indem sich die Strahlenbüschel zwischen den Händen der Personen als einander zu- oder abgeneigt interpretieren ließen.

Den Gegenbeweis trat 1898 Emil Jacobson in der „Photographischen Rundschau” an: „Hat Jodko dies beim Menschen bewiesen…, so bin ich weiter gegangen und habe nachweisen können, daß Liebe und Haß sich auch in der Tierwelt elektrographisch feststellen lassen.” So zeigt die publizierte Abbildung einer Elektrographie zwei offenbar befreundete Engerlinge. „Als ich nun die Tiere aufeinander hetzte – wofür ich alle Vivisektionsfeinde um Vergebung bitte – erhielt ich folgendes Bild glühenden Hasses…”. Auch der letzte Versuch Jacobsons soll die Theorie, der elektrische Strom an menschlichen Kadavern erzeuge keine Strahlen mehr, ad absurdum führen: „Schließlich zog ich aber den letzten Schluß und elektrographierte animalische Materie, von der ich annehmen durfte, sie wäre in ihrem Zustand gewißlich tot und damit aller seelischen Regungen bar… Auch der Unbefangenste wird in der folgenden Abbildung ein klassisches Beispiel von Antipathie erkennen müssen! Nicht sind es menschliche Finger, die ihrem Widerwillen gegeneinander elektrographisch Ausdruck geben, nein es sind – Würstchen! Wiener Würstchen, und zwar von zwei Konkurrenzschlächtern gekauft.” In einer Anmerkung dazu heißt es: „Das Würstchen links leuchtet wenig, es scheint kränklich, oder, nach Jodkos Anschauung, gelähmt zu sein…”

Doch all diese Experimente mit dem neuen Medium Photographie hatten immensen Einfluß auf die moderne Kunst. So hat der vergessene Commandant Louis Darget mit seiner kleinen Schrift „Exposé des différentes méthodes” und einigen Farbklischees, die er im Jahr 1913 Kandinsky schicken ließ, eine nicht zu unterschätzende Wirkung auf dessen Abstraktion gehabt. Der Symbolismus wiederum hatte die mediumistische und spiritistische Photographie ziemlich schnell für sich okkupiert und sie in eine zeitgemäße Ästhetik umgesetzt. Erst die Avantgarde des 20. Jahrhunderts, allen voran Anton Giulio Bragalia, dann Christian Schad, Man Ray, El Lissitzky, Coburn und Moholy-Nagy mit ihrem Sinn für das Groteske, Traumhafte und Absurde, Humoreske und Visionäre, schließlich für das, was unsichtbar ist, eröffneten neue Horizonte der Photographie. Moholys geisterhafte Köpfe um 1926 beispielsweise, seine Hände- und Blumenphotogramme sind ikonographisch nicht nur ganz in der okkultistischen Tradition, sondern Teil eines neuen Konzepts, das Organismen, Artefakte, Raumzeit-Relation und Licht als Teile einer gesamten kosmischen Bestimmung versteht.

Wer nun glaubt, das alte Geisterphoto der Jahrhundertwende habe sich verflüchtigt, es gebe dieses ausschließlich noch als ästhetische Imagination der Kunst, der irrt. Gerade dort, wo man am wenigsten an Halluzinationen und an die Erscheinung von Übersinnlichem denkt, im Bereich der Reportage, in der Welt der neuen Fakten, politischen und menschlichen Dramen und der wissenschaftlichen Beweise, türmt sich neues Photomaterial: Heute sind es Aufnahmen aus dem Marko- und Mikrokosmos, die den Bereich des Wunders tangieren.

Und seit die Bilder digital bearbeitet werden, können politische Begegnungen arrangiert werden, die es nie gab. Die Abrufbarkeit der Geister ist quasi unbeschränkt.

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