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Himmelssturm & Erdenrausch

Die Apokalypse als kulturelles Phänomen im Vorfeld der Jahrtausendwende
              

Von Marion Mauthe

                      

Advent im Ötscherland. Aus einiger Entfernung empfängt den Besucher der Lichtschein eines erleuchteten mittelalterlichen Gebäudes – die restaurierte Kartause Gaming ist von der nahen Ankunft des Herrn erfüllt, gedämpfte Stimmen tönen fast unhörbar aus dem Hof, eine Gruppe schart sich um eine offene Feuerstelle, über der ein Topf mit heißem Punsch hängt.

Doch dieser Weihnachtsmarkt unterscheidet sich in besonderer Weise von den zahlreichen anderen: Es werden fast ausschließlich Devotionalien angeboten. Freilich, man befindet sich in einem monastischen Haus – dennoch ist hier alles anders. Möglicherweise mag die tief ernste Atmosphäre auch auf die zahlreich ausgelegten Schriften zurückzuführen sein, die in der Kartause allenthalben zu finden sind. In unmittelbarer Nähe hat sich nämlich das sogenannte „Katholische Bibelapostolat”, das sich die „Wahrheitsverkündigung” zur Aufgabe gestellt hat, eingemietet. Der staunende Leser findet unter zahlreichen Heilsbotschaften auch einen Prospekt für Hilfsgüter zum Überleben des Weltenendes, weil „über die ganze Erde eine dichte Finsternis kommen wird, die drei Tage und drei Nächte dauern wird. Während dieser Zeit wird es unmöglich sein, Licht zu machen. Nur geweihte Kerzen werden sich anzünden lassen und schützend Licht spenden”.

Gleich neben dem apokalyptischen Text sind Produkte angepriesen, die Hilfe in dieser wohl kaum erfreulichen Situation geben sollen. Medaillen etwa mit einem „ganz besonders wirksamen Schutz um öS 42,–” oder „geweihte Dreitageskerzen, die auch dann noch leuchten, wenn alle Lichter verlöschen und Finsternis die Erde umhüllt – um öS 131,–.” Auch der Besitzer der Kartause, Walter Hildebrand, wirbt in einer von ihm herausgegebenen Informationsbroschüre „Maria Thron” für Strahlenschutzräume in seiner Klosteranlage, die er an gottesfürchtige Interessenten zu vermieten gedenkt. Für 130 Personen ist Platz.

Eschatologisch orientierte Christen sollten freilich auf die „Letzten Dinge” vorbereitet sein. Dabei dient die enge Auslegung der biblischen Apokalypse als Hintergrund für das Szenario, das in einschlägigen Seminaren und Zusammenkünften diskutiert wird. Geht es um Geschäftemacherei mit der Angst?

  

„Endzeitlichkeit”

Tatsache ist, daß zum Ende jedes Jahrhunderts eine Endzeitstimmung heraufdämmert, die scheinbar keinen Raum bietet für das Rationale: Denn schon zur ersten Jahrtausendwende war man davon überzeugt, daß die Menschheit ihrem Untergang entgegengeht. Das Christentum, das bis dahin auf die Eroberung beinahe des gesamten europäischen Raumes blicken konnte, hatte seine Endzeitlichkeit so sehr in den Köpfen der Menschen festgemacht, daß nur ein geeigneter Zeitpunkt gefunden werden mußte, um das Jüngste Gericht auch heranbrechen zu lassen. Und tatsächlich markierte jeweils das letzte Jahrzehnt jedes Jahrhunderts seither immer wieder eine „Zeitenwende” – die durch politisch und soziologisch bedeutende Ereignisse wie die Entdeckung Amerikas 1492 oder den Höhepunkt der Französischen Revolution bestätigt zu werden schien; allerdings können diese Zäsuren erst im historischen Kontext als tatsächlich von Belang eingeordnet werden.

Eindeutig feststellbar ist allerdings, daß der Untergang der Welt noch vor der Menschheit liegt, es sei denn, wir denken solipsistisch und meinen, die von uns wahrgenommene Umgebung sei nur eingebildet und ein bloßes Spiegelbild unseres inneren Auges; davon aber abgesehen, existieren die Europäer – und die Österreicher in einem der reichsten Länder der Welt, sogar ganz gut. So liegt die Frage nahe: Wie lange noch?

Die Lust am eigenen Untergang hat die Angstvisionen seit jeher viel populärer werden lassen als jeweils optimistische Prognosen, wie sie beispielsweise vom Zukunftsforscher Matthias Horx bekannt sind, der auch in Niederösterreich mit Analysen betraut wurde. Er ist der Meinung, daß unsere Kinder mehr und bessere Chancen für die Zukunft haben als alle Generationen vor ihnen. Horx räumt allerdings auch ein, daß es vor der Jahrtausendwende eine „mentale Zuspitzung” gibt. Er konnte feststellen, daß es zur Euphorie nicht reicht – „zu den Ängsten noch allemal, denn die Menschen empfinden die Zukunft immer als gegen sie gerichtet.”

So wurde für die Endzeitjünger der letzten 500 Jahre der fahrende Medicus Michel de Nôtredame, genannt „Nostradamus” zum Leitbild. Mitte des 16. Jahrhunderts beschrieb er in 4772 Versen den Weltenlauf bis in die Mitte des vierten Jahrtausends.

In seinen Visionen, die als Ergebnis seiner damals sehr bedrängten Existenz zu verstehen sind, war doch halb Europa von Pestepidemien bedroht, beschrieb der Prophet die katastrophalen Zeitenläufe. Seither tauchen immer wieder Seher und Visionäre auf, die die Menschheit vor Krieg und Vernichtung warnen. Und selbstverständlich markiert der Beginn des dritten Jahrtausend nach der – übrigens ziemlich ungenauen – christlichen Zeitrechnung eine magisch-mystifizierte Wende.

Im Unterschied zu Nostradamus handelt es sich bei den Prophezeiungen späterer Jahrhunderte aber fast ausschließlich um mündliche Äußerungen, die zumeist erst nach dem Tod des jeweiligen Sehers schriftlich niedergelegt und möglicherweise auch verändert wurden. Erstaunlich dabei ist, daß sich die Visionäre stets ähnlicher Formulierungen bedienen und immer wieder auf die „dreitägige Finsternis”, der sich auch die biblische Apokalypse bedient, hinweisen. Sie verwenden oftmals die gleichen Umschreibungen wie „wenn der Winter mild sein wird und die Wiesen im April schon hoch stehen”. Oft schließen sie sich selbst gern aus: „Ich werde es nicht mehr erleben, aber Sie werden es noch erfahren”. Auch Hinweise auf äußere Veränderungen wie „wenn die Männer weibisch werden” – oder (umgekehrt) „wenn die Frauensleute nicht wissen, was sie für Kleider tragen sollen” kommen in den Weissagungen häufig vor. (Letztere beschwor die Endzeit schon in den zwanziger Jahren, weil sich die damaligen Interpreten auf den „Bubikopf” stürzten und darin das vorausgesagte Anzeichen des drohenden Endes erblickten.)  

  

Dritter Weltkrieg 1999?

Autoren, die sich empirisch mit derartigen Schauungen befassen, konzentrieren sich daher auf Übereinstimmungen, um daraus ihre Schlüsse zu ziehen. Eine erkleckliche Anzahl an Prophezeiungsexperten beschäftigt sich mit den Vorhersagen bezüglich eines weltzerstörenden Krieges. Interessanterweise stellt sich in sämtlichen derartigen Texten aber der Dritte Weltkrieg als konventioneller Krieg dar, nicht eingedenk der Tatsache, daß das weltweit stationierte nukleare Rüstungspotential ausreichen würde, um die Erde mehr als nur einmal in die Luft zu jagen. Bedeutet die Vorhersage eines konventionellen Krieges nun wiederum, daß nur die auf diesen Ernstfall Vorbereiteten ihr Überleben sichern können?

Ein gewisser Bernhard Bouvier, mit bürgerlichem Namen Friedrich Doepner, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Vorhersagen – von Nostradamus über die bayrischen „Seher” der letzten beiden Jahrhunderte bis in die Nachkriegszeit und zieht auch die Visionen eines zeitgenössischen „Propheten” aus dem Waldviertel heran, um zu den Schlußfolgerungen seiner „Zukunft Europas” zu kommen, die er in einem eher dubiosen, politisch weit rechts stehenden Kleinverlag publizieren konnte. Doepner schöpft als Berufsoffizier der Deutschen Bundeswehr aber auch aus seinem eigenen Erfahrungsschatz, was die Möglichkeit des Ausbruchs eines Dritten Weltkriegs betrifft. Seine Argumentation geht dahin, daß Rußland als Rumpfstaat der Sowjetunion zwar aufgrund der SALT-Verträge seine Waffen nach und nach abbaut – jedoch nur jene, die ohnedies schon schrottreif wären. Jenseits des Urals aber würden kilometerlange Panzerkolonnen warten – die, auf Eisenbahnwaggons gesetzt, jederzeit zum Einsatz bereit wären. Doepner geht davon aus, daß der Ausbruch des Dritten Weltkrieges für den Hochsommer 1999 anzusetzen ist. Und die Vorzeichen für den Dritten Weltkrieg hat der deutsche Panzeroffizier aufgrund seiner vergleichenden Prophetenforschung folgendermaßen aufgezeichnet:

• Rußland gewinnt Einfluß auf die Ölregion;

• Abfall der Katholiken von Rom, Kirchenspaltung;

• Verfolgung von Priestern in Italien und Frankreich;

• terroristischer Sprengstoffanschlag auf Hochhäuser im Zentrum New Yorks mit verheerenden Folgen;

• Krise innerhalb Deutschlands bis zum verdeckten Bürgerkrieg

• weltweiter Finanzkollaps;

• nationalkommunistische Führung in Rußland;

• Astronomen entdecken einen Planetoiden, dessen Bahn die der Erde kreuzt;

• außergewöhnlich milder Winter;

Der beeindruckende Aufmarschplan, den Doepner vorlegt, klingt dabei für den Laien überzeugend. Doch der Krieg wird Gott sei Dank nicht von langer Dauer sein, denn der erwähnte „Planetoid” wird im Oktober 1999 die Welt ohnedies zur Gänze zerstören…

     

„Armageddon”

Einer jener Forscher, der sich mit geophysikalischen Prophezeiungen befaßt, ist Alexander Tollmann, der in seinem Buch „Das Weltenjahr geht zur Neige” die Ergebnisse seiner Recherchen dem Leser detailreich verdeutlicht. Sein Interesse für Visionen bezieht der in der Anti-Zwentendorf-Kampagne bekannt gewordene Geologe aus einem Dutzend „sogleich überprüfbarer Schauungen” in seiner Familie. Seine Sicherheit über die Richtigkeit der ausgewerteten Visionen geht in erster Linie von Naturgeschehen aus – wie den Ablauf von Naturkatastrophen, Klimasturz, Polverschiebung, usw. Und er bestätigt die Schlußfolgerungen Bouviers sowohl in bezug auf den Dritten Weltkrieg als auch hinsichtlich des Einschlages eines stellaren Körpers.

Nun mag all dies an den Haaren herbeigezogen klingen, ganz von der Hand zu weisen, sind die Vorhersagen aber nicht. Immer bleibt ein Rest von „Möglichkeit” bestehen. Nach einer Meldung der Schweizer Nachrichtenagentur Reuters vom 15. Oktober 1998 ist tatsächlich der weltweite Umsatz durch Waffenverkäufe in den letzten drei Jahren bedeutend gestiegen. Freilich wurde nicht gemeldet, wer wohin verkauft. Doch allein die Tatsache, daß anscheinend aufgerüstet wird, ist beunruhigend genug.

Was eine Kollision der Erde mit einem stellaren Objekt betrifft, so ist dieses Thema etwas weitläufiger. Da es sich bei den „kosmischen Eindringlingen” – wie sie der Geochemiker Christian Köberl in seinem noch druckfeuchten Buch „Impakt – Gefahr aus dem All” sie bezeichnet, um Himmelskörper handelt, deren Umlaufbahnen schwer berechenbar sind, kommt dieser Möglichkeit eines Weltuntergangs besondere Aufmerksamkeit zu.

Cineasten, die den sommerlochstopfenden Katastrophenstreifen „Armageddon” gesehen haben, kennen jene Kameraeinstellungen, die den Zuschauer als Flugobjekt im Kosmos mit rasender Geschwindigkeit durch eine unendlich große Anzahl von Gesteinsmaterial manövrieren. Auch Computerspiele, die sich mit der stellaren Bedrohung befassen, lassen den geschickt taktierenden Piloten eines Raumschiffes immer wieder von Gesteinsmassen bombardieren. Auch wenn diese Perspektiven utopisch wirken, so gibt es die scheinbar ziellos und mit großer Geschwindigkeit im Weltall sich bewegenden Felsen wirklich.

Denn bereits zu Beginn des vorigen Jahrhunderts entdeckten europäische Astronomen eine Anzahl von Kleinplaneten, die im sogenannten Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter um die Sonne kreisen. Im Gegensatz zu Kometen, die sich in langen Umlaufbahnen um die Sonne bewegen und deren Erscheinungsbild sich der Laie als „schmutzigen Schneeball” zu denken hat – also mit einem großen Anteil an Eis, das übrigens in Sonnennähe zu Gasausbrüchen führt – sind Asteroide Kleinplaneten ohne Wasseranteil, die sich in einer noch nicht erforschten Zahl zwischen Mars und Jupiter um die Sonne bewegen und zumeist wie kosmische siamesische Zwillinge um sich selbst rotieren. Sie bestehen aus Gestein und sind wahrscheinlich Überreste aus der Entstehungszeit des Sonnensystems. Diese Kleinplaneten werden je nach der Bahn, in der sie sich befinden, als Apollo-, Amor- oder Aten-Asteroide bezeichnet. Appollo-Asteroide befinden sich in erdbahnkreuzenden, Amor-Asteroide in marsbahnkreuzenden Bahnen (die sehr nah an die Erdbahn kommen) und Aten-Asteroide laufen hauptsächlich innerhalb der Erdbahn um die Sonne. Die als „Near-Earth-Objects” (NEOs) bezeichneten Kleinplaneten dieser drei Gruppen können für die Erde sehr gefährlich werden. Bis 1982 waren nur 49 NEOs bekannt, aber 1995 waren es schon über 350. Sowohl die NASA als auch die US-Air-Force haben sich das Ziel gesteckt, innerhalb einer Dekade 90 Prozent der NEOs mit einem Durchmesser von einem Kilometer und größer aufzufinden. Man kann davon ausgehen, schreibt Christian Köberl, „daß der Einschlag eines Kleinplaneten mit 8 km Durchmesser auf der Erde einen Krater von etwa 150 km schlagen würde.” Allerdings gibt es Asteroide von weitaus größerer Dimension. Bei solch einem Impakt hätte das aufgeworfene und brennende Erdmaterial ähnliche Auswirkungen wie eine überdimensionale Vulkaneruption. Haben die Propheten, die von einer dreitägigen Finsternis sprechen, also doch recht?

Wie aber kommen die Nostradamus-Jünger zu ihren Visionen?

Für Peter Mulacz, dem Generalsekretär und Vizepräsidenten der österreichischen Gesellschaft für Parapsychologie mit Sitz in Wien, ist der Terminus technicus „Präkognition” für das Vorausahnen von Zukünftigem, das rational nicht erschlossen werden kann, eingeführt worden, „um sich von der Prophetie vor allem im Rahmen der Heilsgeschichte abzugrenzen”. Seit Jahrhunderten wird von einer Sonderform der Präkognition berichtet, bei der das visuelle Element im Vordergrund steht: Vom „Zweiten Gesicht”. Es handelt sich dabei um Phänomene, die besonders im schottischen Hochland anzutreffen sind, doch auch bei den „Spökenkiekern” in Westfalen und sogar teilweise auch in Tirol konnte diese Form des Vorausahnens festgestellt werden. Seine erste großangelegte Untersuchung dazu lieferte Karl Schmeïng 1937 in seinem Buch „Das Zweite Gesicht in Nieder-Deutschland”. Dabei sammelte er Berichte über eine größere Anzahl von Personen, die bestimmte Ereignisse im Leben ihrer Gemeinde voraussagen konnten, die dann tatsächlich auch so eintrafen. Das Zweite Gesicht kam allerdings über den beschränkten, dörflichen Horizont der jeweiligen Seher nicht hinaus. Schmeïng kam zu dem Schluß, daß diese Spielart der Präkognition nur im unmittelbaren Umfeld der betreffenden Personen und innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens von ein bis zwei Generationen existiert.

Ein anderer Empiriker war der seit den dreißiger Jahren forschende und lehrende Niederländer Willem Hendrik Carl Tenhaeff. Aufgrund von Statistiken ist bekannt, daß etwa die Hälfte aller spontanen paranormalen Phänomene im Traum vorkommt und sich hauptsächlich auf den Tod (auch den eigenen), auf Unfälle und Krankheiten bezieht. Tenhaeffs Studien haben nun ergeben, daß von den Vorhersagen über die Zukunft nur ex post auf die dann stattgefundenen Ereignisse geschlossen werden kann, weil sich „das Weltgeschehen im Schicksal des einzelnen spiegelt”. Der umgekehrte Schluß ist allerdings nicht möglich.

Eine der derzeit laufenden Untersuchungen zur Erforschung der Präkognition ist jene des amerikanischen PSI-Forschers Dean Radin. Es handelt sich um ein Massenexperiment, das mit beliebigen Personen durchgeführt wird. Dabei wählt ein Computerprogramm aus einem Pool von Bildern eine gewisse Anzahl von Darstellungen nach dem Zufallsprinzip aus, die sowohl neutrale wie auch affektbesetzte Szenen zeigen und der Versuchsperson vorgeführt werden. Während dieses Versuchs wird Pulsfrequenz, Blutvolumen und Hautwiderstand im Finger der Testpersonen gemessen. Es zeigt sich, daß die physiologischen Reaktionen, die während einer Periode von fünf Sekunden registiert werden, unmittelbar bevor der Zufallsgenerator das jeweilige Bild auswählt, bei negativ affektbesetzten Bildern weitaus höher sind. Daraus resultiert, daß für „Sensitive” – im Volksmund „Medien” – die negativen Emotionen von so hoher Relevanz sein können, daß sie in den verinnerlichten Bildern einen vorrangigen Platz einnehmen. 

         

Nostradamus

Die Ergebnisse anderer Untersuchungen zeigen, daß das in der Vergangenheit Vorhergesagte aus der Sicht der Nachgeborenen selbstverständlich historisch leicht in die gewollte Richtung interpretierbar ist. Ein Beispiel: Vers III, 76 des Nostradamus lautet in der Übersetzung „in Deutschland werden verschiedene Sekten entstehen, die sehr stark an die Zeiten des glücklichen Heidentums erinnern; für ihre Anziehungskraft und ihre unzulänglichen Mittel werden sie ihrerseits den Preis zu zahlen haben.” Wenn also der erfolgreichste Interpret der Nostradamus-Verse Jean-Charles de Fontbrune in seinem 1980 erschienenen Buch diesen Vers dahingehend deutet, daß er den „Sekten” die SA, SS, Hitlerjugend etc. zumißt, so ist damit noch lange nicht gesagt, daß Nostradamus in solchen historischen Dimensionen seine Vorhersagen hätte treffen können. Es sei daher nötig, „aus psychohygienischen Überlegungen heraus diesen Endzeitmythen, soweit sie angetan sind, irrationale Ängste zu schüren, schärfstens entgegenzutreten”, meint Peter Mulacz. Woher aber beziehen Propheten wie Michel de Nôtredame ihre Aussagen?

Eine mögliche Erklärung dafür könnte im kollektiven Bewußtsein zu finden sein. Alexander Tollmann beispielsweise bezieht die Richtigkeit der Propheten-Aussagen darauf, daß das Motiv der Sintflut in allen Weltreligionen vorkommt und daß dieses Ereignis innerhalb der Menschheitsgeschichte aufgetreten sein muß. Auch der bereits erwähnte Geochemiker Köberl, der sich vornehmlich mit jenen Meteoriten befaßt, die die Erde erreicht haben, sieht die griechische Sage von der Entstehung der Götterwelt in diesem Licht: Bekanntlich setzte die Göttermutter Rhea ihrem kinderfressenden Titanengemahl Kronos nach der Geburt des Zeus einen Stein zum Mahl vor, um das Kind zu retten. Nach der Niederlage der Titanen würgt Kronos den Stein wieder hervor, der auf die Erde fällt. An der Stelle des Einschlags errichten die Griechen einen Tempel, und der Fels wird zum Zentrum des wichtigsten Orakels der damaligen Welt – Delphi.

Möglicherweise ist auch die Kaaba in Mekka ein Meteorit – und in Arizona (USA) wurde vor kurzem ein 1400 Jahre altes Grab gefunden, in dem Steinmeteoritenfragmente bestattet waren. Unter Tutenchamuns Grabbeigaben fand sich ein Messer, das aus einem Meteoriten hergestellt ist. All das könnte darauf hinweisen, daß Impakte – also vornehmlich der Einschlag eines Meteoriten und die darauf folgende Springflut – innerhalb der Menschheitsgeschichte erlebt und tradiert wurden; wobei man den Ereignissen stets eine mythische Bedeutung beimaß.

Einen weiteren Hinweis könnte die Verwendung der Zahl „Drei” bieten: Die vorhergesagte dreitägige Finsternis, der Dritte Weltkrieg (weshalb hat man eigentlich damit begonnen, die Kriege zu numerieren?) oder der Tod von „Drei Hochgestellten” sowie der Untergang dreier Weltstädte, aber auch die christliche Dreifaltigkeit Gottes lassen auf eine gewisse Symbolik dieser Zahl schließen. Möglicherweise können also Seher, die vor herannahenden weltweiten Katastrophen warnen, nichts anderes tun, als aus dem Sagenschatz der Menschheit schöpfen. Es dürfte sich also um ein Bedürfnis der menschlichen Kreatur nach der märchenhaften Ausschmückung des „Woher-kommen-wir” und „Wohin-gehen-wir” handeln, das die Gottessehnsucht in die tradierten Erzählungen mit einschließt. Offenbar sind Prophezeiungen also kulturelle Leistungen.

 

Übersinnliches Niederösterreich

Genau dieser Ansatz hat auch Alf Krauliz, den Intendanten des niederösterreichischen Donaufestivals, dazu bewogen, das vom 11. Juni bis zum 4. Juli 1999 stattfindende Festival in Krems und St. Pölten  unter das Motto „Die großen Prophezeiungen” zu stellen. Als Auftakt zum Programm fand Ende Oktober dieses Jahres ein Symposion mit dem Titel „Himmelssturm & Erdenrausch, von Zukunftsmachern und anderen Phänomenen” in Stift Geras statt, das verdeutlichte, wie weit der Begriff der Prophezeiung gefaßt werden kann. Beleuchtet man die ökologische Situation der Welt, so könnte der Verlust der Artenvielfalt auf ein nahes Ende der vernetzten Systeme hinweisen. Geht man von den Forschungen der letzten Jahre aus, so überholt uns die Rasanz des Fortschritts. Begriffe wie Teleportation, also der Transport von Materie und Energie durch Raum und Zeit, Nanotechnologie, also der Bau von Mikrochips in Molekülgröße, oder die Entwicklungen in der Gentechnik könnten zu der von Alf Krauliz als „Atempause” bezeichneten Sehnsucht der Menschen nach Übersinnlichem führen.

Bunt und vielfältig war daher das Symposion gestaltet, das Referenten wie Bernd Lötsch – Generaldirektor des Naturhistorischen Museums –, Anton Zeilinger vom Institut für Experimentalphysik in Innsbruck, die bereits erwähnten Alexander Tollmann und Friedrich Doepner ebenso unter ein Dach versammelte wie Karl Illmensee, der über die Risiken der Fortpflanzungsmedizin referierte, oder den Altphilologen Zecharia Sitchin, der über die Bedeutung exterrestrischer Kulturen für die menschliche Zivilisation sprach. In der Runde nicht fehlen durften TV-Astrologin Gerda Rogers und der ORF-Wissenschaftsjournalist Hugo Kirnbauer, der Trendforscher Christian W. Haerpfer, sowie die Schriftsteller Herbert W. Franke und Peter Krassa. Auch der UFO-Forscher Johannes v. Buttlar, der Psychotherapeut Alfred Pritz und der Wissenschaftspublizist Felix Paturi fanden sich unter den Referenten. Der zynische Vortrag des Ästhetikprofessors Bazon Brock mit dem bezeichnenden Titel „Ich suchte mein Heil in Utopien und ein bißchen Trost in der Apokalypse” rückte die derzeit vorherrschende Endzeitstimmung in das richtige kulturelle Umfeld.

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Das Donaufestival 1999 selbst wird das Thema der großen Prophezeiungen laut Alf Krauliz „im übertragenen Sinn” betrachten. „Es geht darum, neue Konstellationen aus Theater, Objektkunst, bildender Kunst, Musik und neuen Technologien zu schaffen.” Für den Intendanten ist also die Gegenwart die Vergangenheit der Zukunft, weshalb er auch mit Elementen der Science-fiction zu arbeiten gedenkt. Film, Videokunst und experimentelle Musik – wie in St. Pöltens „Klangturm” praktiziert – arbeiten schon seit geraumer Zeit mit der Computertechnik, wodurch für die Kunst beinahe eine Vierte Dimension entsteht.

              

Verwendete Literatur:

Alexander und Edith (†) Tollmann: Das Weltenjahr geht zur Neige. Mythos und Wahrheit der Prophezeiungen, Böhlau, 1998

Bernhard Bouvier: Die letzten Siegel. Weissagungen, Seherberichte, Visionen. Ewertverlag, 1997

Christian Köberl: Impakt – Gefahr aus dem All. Das Ende unserer Zivilisation. Edition Va Bene, 1998
             

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